Fahnen, Schals und Hände hoch!
Der beste Freund, „nur ein Freund“, gute Freunde, virtuelle Freunde, echte Freunde und solche, die mal etwas Anderes waren, jetzt aber wenigstens Freunde bleiben wollen – es gibt sie alle, und jeder kennt zumindest einige davon.

Von Sandra Walzer
In Zeiten von sozialen Netzwerken wird es immer schwieriger, ein Wort mit Leben zu füllen, das leider immer öfter überstrapaziert und immer seltener differenziert wird. Ist ein Freund ein Freund, weil man ihn oder sie zu einer Liste hinzugefügt hat? Passend dazu gibt es auch noch die Fans, die gar nicht mehr Fans heißen, aber trotzdem „gefällt mir“ sagen … Oder kann man Freundschaften mit Internet und Smartphones sogar besser pflegen als früher? Die Antwort darauf ist einfach: Es kommt immer darauf an, was man / frau daraus macht. KSC-Hauptsponsor Klaiber Markisen will am Sonntag ganz viel daraus machen: ein Fußballfest für echte Fanfreunde. Denn die Freundschaft zwischen KSC und Hertha-Fans ist etwas, das immer noch Menschen überrascht, weil sie so etwas nicht für möglich halten. Und doch feiert diese Verbindung 2011 ihr 35-jähriges Bestehen. Eine Freundschaft, die von Herzen kommt – in einem Umfeld, wo oft nur von Gewalt und Kommerz, Fremdbestimmung und großem Reibach die Rede ist: mitten im Fußball.
Karlsruher SC und Hertha BSC, oder viel mehr die Anhänger beider Clubs, verbindet mehr als das SC im Namen. Zwischen beiden Lagern besteht eine Fanfreundschaft, die weit über diesen manchmal etwas luftleeren Begriff hinaus reicht. Da geht es nicht um gemeinsame Schals (die gibt es natürlich auch) oder einen gelegentlichen Nicht-Anschrei-Pakt, sondern um das, was echte Freunde ausmacht. Echt im Sinne von live. Und echt im Sinne von offen, ehrlich und authentisch. Freunde im Stadion, im Partykeller, im Alltag. Im wahrsten Sinn des Wortes und niemals im übertragenen Sinn, wo ein einfacher Klick auf einen Button ausreicht. Obwohl Computer & Co. bei einer Entfernung von weit über 600 km durchaus hilfreich sein können.
Nein, um diese Freundschaft zu beschreiben, werden auch des Kaisers gute Freunde nicht bemüht. Zu allgemein, zu alt, zu schwarz-weiß und irgendwie auch zu oberflächlich. Es lohnt sich, tiefer zu gehen. Die blau-weiße Verbundenheit hat ihren Ursprung ziemlich genau zehn Jahre nach den nicht getrennten Freunden von Beckenbauer und Kameraden anno 1966. Am 14. August 1976 war es, als Hertha BSC Berlin zum Auswärtsspiel ins ferne Karlsruhe reisen musste. Ein Spiel wie jedes andere, eigentlich. Morgens, halb 10 in Karlsruhe spielten sich am Hauptbahnhof dann aber unerwartete Szenen ab. Die etwa 400 mitgereisten Berliner wurden von rund zehn KSC-Anhängern empfangen. Nicht mit Schmährufen, sondern herzlich und mit Einladung ins hochheilige Revier: die Fanclub-Kneipe. Mit 30 Mann von beiden Seiten wurde fröhlich gefeiert, die gemeinsame Fahrt in den Wildpark angetreten und im Stadion schließlich die Zusammenkunft aller Blau-Weißen zelebriert. Die Partie entschieden die Berliner mit 3:0 für sich, standen an der Tabellenspitze – und feierten mit den neuen badischen Freunden einfach weiter. Denn die schluckten den Ärger über die Niederlage, sorgten für Getränke und begleiteten die Gäste unter „Ha Ho He“-Anfeuerung des „Gegnerclubs“ und „KSC, KSC“ als deren Antwort zurück zum Bahnhof.
1997 schaffte die Hertha den Wiederaufstieg in die Bundesliga, besiegte Karlsruhe zu Hause mit 3:1, und die Fans reaktivierten die Freundschaft aus den 70ern. Spiele der befreundeten Mannschaft wurden besucht, auch den Gang des KSC in die Regionalliga mussten die Fans nicht alleine antreten – die Hertha-Freunde waren dabei. In der Saison 2003/2004 gab es auf Initiative der Fans ein besonderes Highlight: ein Freundschaftsspiel der beiden Teams in Karlsruhe. Schon vor der Begegnung der Profis traten die Fangruppen zum Kick gegeneinander an, das nachfolgende Match bejubelten 500 mitgereiste Herthaner gemeinsam mit den KSC-Freunden von der Gegengeraden aus. Im Mai 2008 gab es zum badischen Gastspiel in der Hauptstadt eine beeindruckende Choreographie mit dem Motto „Ein Bündnis für die Ewigkeit“ inklusive lautstarker gegenseitiger Unterstützung von der Mannschaftsaufstellung bis zu gemeinsamen Gesängen, nach der Bundesligabegegnung feierten über 1.000 Fans und sogar einige Hertha-Spieler im Berliner Friesengarten. Schon Wochen vorher suchten die Hertha-Fans Übernachtungsmöglichkeiten für die Freunde aus dem Süden.
Noch ein Stück weiter über reine Freundschaft hinaus ging es bei Nancy und René. Die Hertha-Anhängerin und der KSC-Fan lernten sich vor gut vier Jahren auf einem Fantreffen kennen. Aus der Fanfreundschaft wurde Liebe, aus der Fernbeziehung ein Umzug nach Karlsruhe. Am 4. September 2010 kam die gemeinsame Tochter zur Welt, am 22. Oktober wurde die „Fan-Liebe“ mit dem Ja-Wort der beiden offiziell. Die Hochzeitsfeier fand – selbstverständlich – im KSC-Clubhaus statt, zu den Gratulanten gehörten auch Alexander Iashvili, Jeff Kornetzky, Willi Wildpark und Michael Preetz, der per Fax aus Berlin alles Gute wünschte.
Das nächste Highlight in der lebendigen Freundschafts-Geschichte soll am Sonntag folgen. KSC-Hauptsponsor Klaiber Markisen will als „Sponsor of the day“ und Botschafter der besonderen Verbindung gemeinsam mit allen Fans das „Freundschaftsspiel“ feiern – obwohl oder gerade weil es um wichtige Punkte geht. Schon beim Hinspiel in Berlin buchte Klaiber eine Bande im Olympiastadion: Unterstützung beider Vereine ist für das badische Unternehmen Ehrensache. Zum heutigen Rückspiel wurde eine „offizielle Fanfreundschaftsseite“ auf Facebook ins Leben gerufen, ein extra Fanfreundschafts-Logo kreiiert und auf 10.000 Fahnen gedruckt, die an die Fans im Stadion verschenkt werden.
Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesliga gibt es außerdem einen gemeinsamen Platz für Fans beider Vereine: Block E2 wurde kurzerhand zum „Klaiber Fanfreundschaftsblock“ umfunktioniert. 150 Karten für diesen Block hat Klaiber auf der Facebook-Seite verlost, für die innerhalb kürzester Zeit über 570-mal „gefällt mir“ geklickt wurde. Im Rahmen der heutigen Partie wird diese Seite symbolisch an die Fanbeauftragten beider Verein übergeben – denn sie soll nicht nur zum aktuellen Spiel, sondern auch in Zukunft eine Plattform für die vielen Badener und Berliner sein, die sich über ihre Clubs, anstehende Ereignisse und ihre Freundschaft austauschen wollen. Virtuell, aber vor allem „in echt“ bei vielen weiteren Treffen, Telefonaten und tollen Aktionen.