Einwurftor, Pfostenbruch & mehr: historische Momente des SV Werder Bremen
Vier deutsche Meistertitel, sechs DFB-Pokalsiege, Platz drei in der ewigen Tabelle und 57 Spielzeiten in der Fußball-Bundesliga. Der SV Werder Bremen ist im nationalen Fußball eine der größten Nummern, die es gibt. Seit dieser Saison sind die Norddeutschen nach 1980/81 erst zum zweiten Mal in ihrer Geschichte zweitklassig. Bei "Gegner im Detail" blicken wir zurück auf fünf historische Bundesliga-Momente der Grün-Weißen.

Premierentor nach wenigen Sekunden
24. August 1963:
Sie wurde lange erwartet und im Sommer 1963 dann endlich eingeführt – die Bundesliga! In einer Zeit ohne Spieltagszerstückelung auf fünf verschiedene Uhrzeiten, starteten die Partien des ersten Spieltags alle zeitgleich am Samstagnachmittag. Mit dabei: der SV Werder Bremen. Das Gründungsmitglied des Fußballoberhauses empfing die Dortmunder Borussia im heimischen Weserstadion zum Schlagabtausch um die ersten drei Punkte. Der Premierentreffer ließ dabei nicht lange auf sich warten. Nach nur 58 gespielten Sekunden setzte sich Lothar Emmerich auf der linken Seite durch und dribbelte bis an die Grundlinie. Von dort aus legte der Angreifer die Kugel in den Strafraum, wo Timo Konietzka bereitstand. Es folgte ein strammer Schuss aus acht Metern ins linke untere Eck und damit der erste Treffer in der Bundesliga-Geschichte. Allerdings ging damit nicht der SV Werder, sondern der BVB in Führung. Nichtsdestotrotz gelang es den Werderanern durch Treffer von Soya, Schütz und Klöckner die Partie noch zu ihren Gunsten zu drehen.
Pfostenbruch vom Bökelberg
3. April 1971:
Die Tabellensiebten vom Bremer Osterdeich reisten am 27. Spieltag der Saison 1970/71 zum Ligaprimus nach Mönchengladbach. Die Borussen wollten unbedingt gewinnen, um die Oberhand im Meisterschaftsrennen gegen den FC Bayern zu behalten. Dementsprechend starteten der amtierende Meister auch in die Partie und gingen nach sieben Minuten durch einen Kopfball von Horst Klöppel in Führung. Die Grün-Weißen boten aber Paroli.
Zehn Minuten nach dem Rückstand markierte Heinz-Dieter Hasebrink den Ausgleich. Bis zur nächsten Torszene sollten dann einige Minuten verstreichen.
120 Sekunden vor dem Ende der regulären Spielzeit brachte der Gladbacher Günter Netzer einen Freistoß von einer rechten Halbposition in den Werder-Strafraum. Dessen Flanke versuchte Borussia-Angreifer Herbert Laumen zu erreichen, scheiterte jedoch um einige Zentimeter. In der Folge kam Laumen ins Straucheln und stolperte ins Tor der Bremer – ohne Ball, aber dafür mit viel Schwung. Zu viel Schwung für den rechten Pfosten des Holztores. Bevor Laumen so richtig realisieren konnte, was gerade geschah, stürzten Pfosten und Querlatte auf ihn herab und er war im Bremer Tor gefangen wie ein Fisch im Auffangnetz. Von da an begann das Chaos.
Zuschauer kletterten über die Banden auf das Spielfeld, während die Werder-Spieler panisch versuchten den abgebrochenen Pfosten wieder aufzustellen. Indes redeten die Gladbacher auf Schiedsrichter Gert Meuser ein, dass dieser doch die Partie beenden solle und ein Wiederholungsspiel anberaumen. Die Fohlen-Elf erhoffte sich dadurch eine neue Chance auf drei Punkte gegen Werder. Die Bremer waren mit dem 1:1-Achtungserfolg gegen den Tabellenführer aber eigentlich ganz zufrieden, weswegen sie die Partie gerne noch zu Ende gespielt hätten. Es vergingen zwölf Minuten erfolgloser Reparaturversuche, bis der Unparteiische die Geduld verlor und die Partie für beendet erklärte. Zur Freude der Grün-Weißen wertete der Verband die Partie aufgrund des fehlenden Ersatz-Tores mit 0:2 für die Gäste. Das eingestürzte Tor ging als „Pfostenbruch vom Bökelberg“ in die Geschichtsbücher ein. Als Konsequenz auf den Vorfall stellten alle Bundesligisten, die noch Holztore nutzten auf stabilere Aluminium-Anfertigungen um.
Foulspiel mit Folgen
14. August 1981:
Wir schreiben den zweiten Spieltag der Saison 1981/82. Die Bundesliga-Spielzeit hatte gerade erst begonnen, als die frisch aufgestiegenen Bremer die Bielefelder Arminia im heimischen Weserstadion empfingen. Die Partie gegen den Vorjahres-15. war für die Werder-Mannschaft um Cheftrainer Otto Rehhagel eine frühe Standortbestimmung im Kampf um den Klassenerhalt. Die Begegnung konnte der SVW durch einen Treffer von Norbert Meier in der zweiten Hälfte dann auch gewinnen. Das Spiel sollte allerdings wegen einer anderen Szene in die Geschichte eingehen.
In der 18. Spielminute machte sich der wieselflinke Edeltechniker Ewald Lienen auf den Weg durch die Werderaner-Abwehrreihen. Kurz vor dem Sechzehnmeterraum machte es sich Außenverteidiger Norbert Siegmann zur Aufgabe den Flügelspieler zu stoppen. Das tat er auf die robusteste und brutalste Art und Weise, die die Bundesliga wohl je gesehen hatte. Siegmann packte die blutrünstigste aller Blutgrätschen aus und mähte Lienen nieder. Der Bremer traf den Arminen mit seinem ausgestreckten rechten Bein am Oberschenkel, wodurch dieser von den Stollen aufgeschlitzt wurde. Dabei entstand eine 25 Zentimeter lange und fünf Zentimeter tiefe Fleischwunde.
Der Gefoulte Lienen - von Schock, Wut, Schmerz und einer Menge Adrenalin übermannt – sprang nach kurzem Blick auf seinen Oberschenkel auf und humpelte so schnell er konnte auf den an der Seitenlinie stehenden Rehhagel zu. Der heutige Markenbotschafter des FC St. Pauli warf dem Werder-Coach lauthals vor, dass er Siegmann zu dem blutigen Tritt aufgefordert hätte. Bevor die Situation weiter eskalieren konnte, setzte bei Lienen der Schmerz wieder ein und er musste ins Krankenhaus abtransportiert werden. Auf der Trage zeterte Lienen weiter gegen die Bremer und drohte mit rechtlichen Schritten. Die direkten Konsequenzen aus dem Foul fielen dann aber relativ unspektakulär aus. Siegmann wurde lediglich mit einer gelben Karte verwarnt und Lienens Wunde wurde in einem örtlichen Krankenhaus zugenäht.
Der Vorfall sollte aber noch deutlich schwerwiegendere Folgen haben. Im Nachgang zum Spiel erhielten Rehhagel und sein Abwehrspieler heftige Beleidigungen bis hin zu Morddrohungen von Bielefelder Anhängern. Zum Rückspiel im Januar 1982 auf der Bielefelder Alm erwartete die Polizei daher Ausschreitungen gegenüber den beiden Bremern. Siegmann wurde aufgrund dessen vorsorglich zuhause gelassen, um potenziellen Konflikten zu entgehen. Trainer Rehhagel wurde hingegen mit einer schusssicheren Weste ausgestattet und stand unter Polizeischutz.
Die Begegnung ging mit einem 2:0-Sieg für die Bremer zu Ende und blieb glücklicherweise ohne größere Vorkommnisse.
Abseits des Platzes sorgte Lienen allerdings mit einer Anzeige gegen die – aus seiner Sicht – Übeltäter Rehhagel und Siegmann für Aufsehen. Der Fall ging vor zwei Gerichte und endete im Freispruch für die Werderaner.
Lienen ging es mit seiner Anzeige in erster Linie gar nicht darum Schmerzensgeld von Werder Bremen zu erhalten. Seine Verletzung war harmloser als zunächst angenommen, sodass er bereits nach fünf Wochen wieder auf dem Platz stand. Stattdessen wollte er anhand des brutalen Vorfalls ein Exempel statuieren, um Angreifer mehr zu schützen gegen die Bundesliga-Raubeine der 1980er-Jahre. Zumindest bei Siegmann hinterließ das Foulspiel seine Spuren, der Defensivmann schwor sich sein Spiel rücksichtsvoller zu gestalten.
Fünf Jahre nach dem Bielefeld-Spiel musste Siegmann seine Profikarriere dann verletzungsbedingt beenden. Von der Welt der Tritte und Grätschen nahm der inzwischen 68-jährige Abstand und lebt heute als friedliebender Buddhist.
Die Hand G̶o̶t̶t̶e̶s̶ Reinders
21.08.1982:
Morgen vor exakt 39 Jahren traf der SV Werder Bremen am ersten Spieltag zuhause auf die Münchener Bayern. Im Tor der komplett in Rot auflaufenden Gäste absolvierte der belgische Nationaltorhüter Jean-Marie Pfaff sein Bundesliga-Debüt. An der Säbener Straße hegte man große Hoffnung in den lockigen Schlussmann, der die durch Sepp Maiers Karriereende entstandene Lücke im FCB-Tor füllen sollte.
Das Spiel entwickelte sich zu Beginn eher gemächlich. Beide Mannschaften waren mental noch nicht so richtig im Pflichtspielbetrieb angekommen und tasteten sich erst einmal ab.
Nach 41 Minuten ging der Ball knapp 40 Meter vom Bayern-Tor entfernt ins Seitenaus. Einwurf SV Werder. Was unspektakulär klingt und pro Partie zich mal geschieht, sollte an jenem Samstagnachmittag ein historisches Bundesligaereignis einleiten.
Uwe Reinders schnappte sich die Kugel und ging für seinen Anlauf bis auf die alte Tartanbahn des Weserstadions zurück. Dass der schnauzertragende Fußballprofi nicht nur sehr gute Mittelstürmerqualitäten, sondern auch eine herausragende Wurfkraft besitzt, war bekannt. Aber, dass Reinders das Leder bis in den Torraum werfen könnte, schien dann doch etwas unwahrscheinlich. Der Werder-Angreifer bewies allen Skeptikern aber das Gegenteil. Reinders gab all seine Kraft in den Einwurf und beförderte damit das Leder bis zum belgischen Schlussmann. Dieser wurde von der enormen Power in Reinders Armen blindlings überrascht. Von der Situation überfordert sprang Pfaff hoch, um den Ball aus der Luft zu greifen, touchierte das Spielgerät dabei allerdings nur leicht. Das Ergebnis: die Kugel segelt in den Bayern Kasten – Tor für Werder!
Wäre der Münchener Torwart nicht zum Ball gegangen, hätte der Einwurftreffer nicht als Treffer gezählt. Das war aber nunmal nicht der Fall und somit blamierte sich Star-Transfer Pfaff bei seinem Debüt, während Reinders sich als Bremer Einwurf-Legende zementierte.
Elfmeter-Trauma an der Weser
22.04.1986:
33. Spieltag, Werder Bremen thront an der Tabellenspitze, nur noch ein Sieg fehlt zur Meisterschaft. Im April des Jahres 1986 empfingen die Werderaner den direkten Verfolger aus München zum Showdown um die Meisterschale. Unter Berücksichtigung der damaligen Zwei-Punkte-Regel standen die Hansestädter mit 48:16 Punkten haarscharf vor dem FCB mit 46:18 Zählern auf dem Konto. Ein Sieg reichte, um die Schale nach zwei Vizemeisterschaften in den letzten drei Spielzeiten endlich wieder in das kleinste Bundesland zu holen.
Alles war für einen Werder-Sieg angerichtet: Die Fans erzeugten eine grandiose Stimmung im ausverkauften Weserstadion, die Schale war vor Ort und der Schampus kaltgestellt.
Die Partie kam anfangs jedoch nicht so richtig in Schwung. Die Anspannung stand beiden Mannschaften ins Gesicht geschrieben – entweder würde die harte Arbeit der vergangenen 32. Spiele hier und heute mit dem Titel belohnt werden, oder die Meister-Entscheidung verschiebt sich auf den allerletzten Spieltag.
77 lange Minuten vergingen und noch immer waren auf der Anzeigetafel keine Treffer zu sehen. Werder-Coach Otto Rehhagel sah es an der Zeit für die Schlussphase des Spitzenduells frischen Wind in die Partie zu bringen. Sein Mann dafür: Rudi Völler. Der damals 26-Jährige kehrte erstmalig nach einer fünfmonatigen Verletzungspause in den Kader der Grün-Weißen zurück. Im Hinspiel gegen den FC Bayern wurde Völler von Klaus Augenthaler rüde gefoult und erlitt einen Wadenbeinbruch. Eine komplette Halbserie später hatte „Tante Käthe“ die Gelegenheit sich bei den Bayern zu rächen, indem er seine Mannschaft zur Meisterschaft schießt und die Münchener auf den Vizeplatz verweist. Mit diesem Vorhaben im Kopf und dem Ball am Fuß machte sich Völler auf den Weg zum Tor des FCB. Am rechten Strafraumeck stellte sich ihm Verteidiger Sören Lerby entgegen, den der Angreifer mit der lockigen Mähne versuchte mit einem Lupfer zu überspielen. Der Däne machte sich allerdings groß und bekam das Leder dadurch mitten ins Gesicht. Völler reklamierte sofort auf Handspiel, Schiedsrichter Volker Roth pfiff und zeigte auf den Punkt. Nur noch zwei Minuten regulär zu spielen. Der SVW bekam im bestmöglichen Zeitpunkt einen Elfmeter geschenkt und hatte nun die Chance sich im heimischen Weserstadion zum deutschen Fußballmeister zu krönen.
Die Bayern wollten die Entscheidung nicht wahrhaben. Die Einen diskutierten mit dem Unparteiischen, die Anderen wendeten dem Werderaner Elfmeterschützen Michael Kutzop gegenüber Psycho-Spielchen an.
Fünf Minuten verstrichen von der Uhr, bis Kutzop endlich mit dem Ball zum Punkt schreiten konnte. Der Vorstopper war einer der sichersten Elferschützen der ganzen Liga, in der bisherigen Saison hatte er jeden seiner acht Versuche im Tor untergebracht. Dieser war nun aber mit weitem Abstand der wichtigste.
Trifft er ist Werder Meister, vergibt er allerdings, dann müssten die Feierlichkeiten mindestens bis zum letzten Spieltag warten.
Ein langer Anlauf mit einer kurzen Verzögerung vor dem Schuss verluden Bayern-Keeper Pfaff in die falsche Ecke. Doch dann – plopp! Der Ball ging an den Pfosten und von dort ins Aus. Sekunden später wurde die Partie ohne Entscheidung im Meisterkampf beendet.
Am letzten Spieltag kam es, wie es kommen musste. Der SV Werder verlor beim VfB Stuttgart mit 2:1, während die Bayern im Fernduell Borussia Mönchengladbach mit 6:0 abfertigten und sich damit ihre neunte Meisterschaft sicherten.