Als Porcello "den Hafer" gab: Spektakel gegen Hansa Rostock
Endlich wieder Fußball! Endlich wieder Fans! Am 1. Spieltag der Saison 2021/22 reist unser KSC in der weitesten Auswärtsfahrt des Jahres ins Rostocker Ostseestadion. Bei „Gegner im Detail“ blicken wir auf ein legendäres Aufeinandertreffen zwischen den Karlsruhern und dem FC Hansa.

Wir springen zurück in das Jahr 2006. Um genauer zu sein zum 20. November. Die Karlsruher Tabellenführer empfangen am 13. Spieltag ihre ärgsten Verfolger aus Rostock zum Spitzenduell der 2. Bundesliga. Der KSC trifft als beste Offensive mit 30 Treffern auf die beste Defensive der Liga mit gerade einmal sechs Gegentoren in den ersten zwölf Partien. Nach drei Wochen verletzungsbedingter Zwangspause kehrt mit Markus Miller, einer der Erfolgsgaranten, in die Startformation zurück. „Killer“ ist indes bei Weitem nicht die einzige KSC-Legende, die an jenem Novemberabend auf dem Feld stehen wird. Maik Franz, Mario Eggimann, Godfried Aduobe, Edmond Kapllani, Sebastian Freis, Massimilian Porcello oder unser Chefcoach Christian Eichner sind nur ein Auszug der topbesetzten Startelf.
Während die beiden Trainer Edmund Becker und Frank Pagelsdorf ihren Spielern vor dem Anpfiff in den Katakomben noch letzte Anweisungen geben, gleitet ein haariges Wesen im weißen KSC-Dress per Fallschirm aus dem Karlsruher Abendhimmel hinunter auf den Rasen des altehrwürdigen Wildparkstadions: Das Debüt unseres Maskottchens Willi Wildpark. Die spektakuläre Wildschwein-Landung sollte aber nicht das einzige denkwürde Ereignis des Abends sein, aber dazu gleich mehr.
Kurze Zeit später betritt unser KSC vom eidgenössischen Kapitän Eggimann angeführt den vollbesetzten und im Flutlicht erstrahlenden Wildpark.
Ede Beckers Mannschaft startet furios in die Begegnung. Bradley Carnell kann Millers langen Abschlag behaupten und zu Aduobe weiterleiten. Der Fußball-Godfried spielt per Kopf weiter zum zentral -offensiven Porcello, welcher dann den mitgelaufenen Florian Dick auf der rechten Außenbahn in Szene setzt. Der Hambrückener nimmt die Kugel an und schlägt aus halbrechter Position einen Flugball in Richtung des Elfmeterpunkts. Dort setzt Edmond Kapllani zum Kopfball an und versenkt den Ball an Torwart Schober vorbei im rechten unteren Eck. Nach sechs Minuten steht es somit schon 1:0 für den KSC. Der Blitzstart für die Blau-Weißen ist perfekt.
Zehn Minuten später kommen die Badener erneut durch einen langen Miller-Abschlag zu einer vielversprechenden Angriffssituation. Der Rostocker Gledson sieht sich daher dazu gezwungen Kapllani ungestüm vom Ball zu trennen – Schiedsrichter Kinhöfer entscheidet auf Freistoß kurz hinter dem Mittelkreis. Eine Sache für den Standardspezialisten Massimilian Porcello, der erst im Sommer aus Bielefeld in die Fächerstadt kam. Er schnappt sich die Kugel, legt sie sich zurecht und nimmt zehn lange Schritte Anlauf. Ab hier übernimmt der Kommentar der Partie Uwe Morawe: „Porcello hat einen unglaublich guten Weitschuss, aber diese 40 Meter sind auch für ihn wohl zu viel“. Die Nummer zehn ist da allerdings anderer Ansicht. Noch drei schnelle Trippelschritte und dann sprintet er los. „Na will er vielleicht sogar? Der gibt den Hafer! Und wieeeeeeeeee, uuunnnnddd wiiiiieeeee, und wie!“. Der Kommentator ist nicht mehr zu halten, genauso geht es den knapp 30.000 KSC-Fans im Stadion.
Porcellos Schuss hat eine unglaubliche Flugkurve, in der sich der Ball immer weiter und weiter vom Torwart wegdreht, bis er links oben in die Maschen einschlägt und den Wildpark so in ein Tollhaus verwandelt. Den Rostockern bleibt nichts weiter übrig, als Porcellos Hammer ungläubig hinterherzuschauen. Schnell bildet sich eine Traube um den Traumtorschützen. Was man bei all der Ekstase aber nicht vergessen darf: das Spiel läuft erst seit 16 Minuten.
Der KSC denkt aber scheinbar gar nicht daran, ihre Offensivpower ruhen zu lassen. Nur gut 10 Minuten nach Porcellos Freistoß für die Ewigkeit erobert Sebastian Freis 25 Meter vor dem Hansa-Tor vom Rostocker Dexter Langen den Ball. Der Karlsruher Bub spielt daraufhin einen Doppelpass mit Federico durch die Gasse in den Strafraum, Schober kann jedoch parieren. Den Abpraller auf links schnappt sich dann aber Dauerläufer Carnell und schiebt eiskalt zum 3:0 ein.
Bei diesem Spielstand ging es dann auch in die Pause. Die Fans im Wildpark sahen soeben wohl eine der besten Halbzeiten, die der KSC in der Clubgeschichte jemals gespielt hatte. Die beste Defensive der Liga wurde in den ersten 45 Minuten demontiert und auf ewig mit einem traumhaften Gegentor aus 40 Metern gebrandmarkt.
Allerdings ist das noch nicht das Ende der Geschichte. Die zweite Halbzeit startet und der Heimsieg scheint bereits in trockenen Tüchern zu sein. Trainer-Legende Sepp Herberger stellte allerdings schon viele Jahre zuvor fest, dass der Ball rund ist und ein Spiel eben 90 und nicht nur 45 Minuten dauert. Dies lernte Ede Beckers Mannschaft an jenem Novemberabend auf besonders brutale Art und Weise.
Sebastian Freis schafft es in der 63. Minute zwar noch die von Shapourzadeh verkürzte Tordifferenz wieder zurückzusetzen, von dort an soll den Karlsruhern jedoch nichts mehr gelingen.
Erneut ist es Shapourzadeh in der 78., gefolgt von Rahn in der 81. und Cetkovic in der 87. Spielminute, die das Spiel zum 4:4-Spektakel machen.
Im ersten Moment fühlte es sich vielleicht wie eine Niederlage an, im Rückblick auf die Partie kann man aber sicherlich von einer legendären Partie im altehrwürdigen Wildparkstadion sprechen.
Letztendlich verlief die restliche Saison 2006/07 sowohl für unseren KSC als auch für Rostock sehr zufriedenstellend. Die Hanseaten folgten den Badenern auf Platz zwei in die Bundesliga, bevor es ein Jahr später wieder eine Etage tiefer ging.
Nicht zuletzt wegen Porcellos phänomenalem Tor sind Spiele gegen die Kogge von der Ostsee immer etwas Besonderes. Cheftrainer Christian Eichner war 2006 live dabei und wird sich gemerkt haben, dass es die Kräfte gut einzuteilen gilt und ein zu frühes Abschalten fatale Folgen haben kann.